Veränderte Wahrnehmung einer Invasionspflanze ab 2006

Was hat sich also seit 2006 so dramatisch geändert, um die Beifuß-Ambrosie nun plötzlich zum „Höllenkraut“ und Enfant terrible der gesamten europäischen Flora werden zu lassen, dessen beabsichtigte Ausrottung inzwischen schon fast zur Chefsache aller bundesdeutschen Ministerien wurde? – Die Antwort auf diese Frage dürfte nicht ganz einfach sein, aber es lassen sich verschiedene Zusammenhänge aufzeigen, die diesen panikartigen Umschwung in der Einstellung von Öffentlichkeit und Behörden zu der nordamerikanischen Pflanzenart erklären. Der Hamburger Botaniker Hans-Helmut Poppendieck sieht den Grund vor allem im Zusammentreffen von drei Problemfeldern mit hohem (journalistischen) Aufmerksamkeitswert: Pollenallergie, Klimawandel und Invasive Pflanzen (in: Berichte des Botanischen Vereins zu Hamburg, Heft 23, 2007).
Die invasive Ausbreitung der Beifuß-Ambrosie in Deutschland (im Volksmund wegen ihrer langen traubigen Blütenstände auch Traubenkraut genannt) lässt sich vorerst noch nicht mit wesentlichen und dauerhaft erfolgreichen Qualitätssprüngen belegen. Nach einer aktuellen Studie der TU Braunschweig (Dietmar Brandes, Jens Nitzsche: Biology, introduction.. 2006) finden sich aktuell verdichtete Bestände der Art in Sachsen, der Niederlausitz, Berlin und Umgebung (also meistens dort, wo sie auch schon zu DDR-Zeiten stabilisiert verbreitet war – in Guben/Brandenburg wird die Art sogar seit 1928 als stabil kartiert) außerdem mit festen Beständen in Hamburg (ein stabiler Bestand der Pflanze bei einer Ölmühle im Hamburger Hafen ist spätestens seit 1990 bekannt), im Ruhrgebiet (hier gibt es ebenfalls gehäufte Kartierungsberichte aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts), in der Rheinebene bei Mannheim-Ludwigshafen mit östlichen Ausbreitungen bis Karlsruhe und Stuttgart und westlichen Ausbreitungstendenzen in die Pfalz (im Rheinhafen von Ludwigshafen wurden die Bestände der Art aber bereits seit 1952 als stabil kartiert !!), 2006 zunächst punktuell in Südbayern, (Burghausen, Laufen und Freilassing) und seit 2007 mit 20 postulierten größeren Vorkommen in Gesamt-Bayern, u.a. entlang eines Autobahnabschnitts der A8 (Pressemeldung vom 22.06.07). Für den gesamten deutschen Bereich gibt es aber bisher keinerlei Gründe für Panik erzeugende Horrorvisionen.

Gerhard Höfer (Pflanzenarchiv Lavendelfoto) bei der Begutachtung eines Ambrosiabestandes im Hamburger Hafen; Ölmühlen, Getreidespeicher und Futtermittelbetriebe sind die klassischen Verbreitungsorte für Invasionspflanzen, die mit Saatgut zu uns kommen. (Foto: Thomas Grimm)

Eine emotionale Veränderung in der Wahrnehmung der Pflanze wird in der Tat gefördert durch die aktuelle Diskussion um den Klimawandel – eine Erwärmung unseres Klimas wird unweigerlich auch eine verstärkte Ausbreitung Wärme liebender Neophyten zur Folge haben. Auch die neuen Kommunikations- und Wirtschaftsstrukturen innerhalb Europas und insbesondere die Umstrukturierungen im Import- / Export-Handel von landwirtschaftlichen Produktionsgütern nach der stattgefundenen EU-Ost-Erweiterung sind geneigt, unsere Wahrnehmung einer Invasionspflanze nordamerikanischen Ursprungs zu verändern. Da ihre hauptsächliche Verbreitung unbeabsichtigt mit dem Transport von Saatgut (als Speirochorie bezeichnen Wissenschaftler diesen speziellen Ausbreitungsmechanismus von Pflanzen durch den Menschen) geschieht, erleben wir bei der Beifuß-Ambrosie inzwischen eine zweite Invasionsphase, die nicht mehr nach Nordamerika verweist, sondern aktuell viel eher als Re-Import der ursprünglich nordamerikanischen Art aus den Ostblockländern zu verstehen ist. Mit der Umstrukturierung landwirtschaftlicher Distributionswege passt die Invasionspflanze ihre Bewegungen der landwirtschaftlichen Migration im Zeitalter der Globalisierung im Agro-Business an; - dafür können wir aber nicht die Pflanze, sondern höchstens die zuständigen Akteure verantwortlich machen, die ihre Migration betreiben und in extremen Fällen sogar fahrlässig befördern.

Die fremdartigen Ambrosiasamen (hier im Vergleich mit Sonnenblumensamen) werden von unserer einheimischen Vogelwelt bei der Fütterung verschmäht; besser wäre es, sie vor der Verteilung durch Aussieben zu entfernen um eine Ausbreitung der Pflanze zu verhindern.
(Foto: Thomas Grimm)

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